Branchensoftware programmieren gegen Beteiligung? Warum eine gute Idee nicht reicht.


Wenn ich für jedes Mal, wo mir jemand sagt, er suche einen „Programmierer gegen Beteiligung“, einen Cent kriegen würde, wäre ich Millionär! Nehmen wir mal die Geschäftsidee für eine neue Branchensoftware.

Da hat jemand Einblicke in eine bestimmte Branche oder ärgert sich über eine selbst eingesetzte Software und findet „Das geht viel besser! Hier ist Bedarf!“ Das klingt sogar nach einer super Geschäftsidee. „Wenn ich nur jemanden hätte, der meine Ideen programmiert.“

Immer langsam mit den jungen Pferden! So gut deine Idee zu sein scheint – es gibt drei typische Denkfallen:

1. Meine Ideen/Bedürfnisse sind „alles“, was andere auch und genau so brauchen.

Klar, die Firmen einer Branche ähneln sich, da sie ähnliche Kunden, Produkte und Leistungen haben. Trotzdem gibt es Unterschiede. Jedes Unternehmen macht andere Erfahrungen, hat anderes Wissen, hat eine andere Mischung an MitarbeiterInnen und Kunden. Häufig gibt es verschiedene Schwerpunkte. Nicht zuletzt sind die Unternehmen unterschiedlich groß und wickeln unterschiedliche Volumina ab.

All diese Unterschiede schlagen sich natürlich auf die Software durch. Deshalb deckt keine Branchensoftware zu 100 % die Anforderungen aller Unternehmen einer Branche ab. Das, was der Fachmann in seinem eigenen Unternehmen sieht oder was man als extern bei Kunden gesehen hat, ist nur ein kleiner, sehr spezifischer Ausschnitt aus dieser Vielfalt.

2. Meine Bedienprobleme lassen sich auf alle anderen Anwender übertragen.

Eigentlich logisch: Jeder Mensch tickt unterschiedlich, hat andere Erfahrungen im Umgang mit Software, versucht andere Wege, um ans Ziel zu kommen. Das wirkt sich auf die Bedienbarkeit von Software aus. Neue Software muss erstmal gelernt werden: Was kann ich als Anwender überhaupt im System machen? Was wird bei den einzelnen Bildschirmansichten von mir erwartet? Wie komme ich zum Ziel? Das setzt sich fort bis hin zu den vermeintlichen Details wie Tastenkürzeln oder Fehlerhinweise.

Dieses Vorausschauende, und zwar so richtig im Detail, fehlt den meisten. Das erfordert sehr viel Weitblick und Erfahrung und ist äußerst herausfordernd, was Zusammenhänge angeht. Ich habe schon ganze Excel-Tabellen gesehen, die nur dazu da waren, Fehlermeldungen aus der Warenwirtschaft näher zu erklären. Die Software selbst war einfach nicht verständlich genug!

Mancher denkt sich: „Ich bin so schlecht mit Software – wenn ich etwas bedienen kann, kann das jeder andere auch!“. Das greift leider zu kurz: Es gibt nicht so etwas wie den schlechtesten Anwender. Die Realität ist einfach nicht so simpel. Auch mir als IT-Profi ist es schon passiert, dass AnwenderInnen mir Abkürzungen oder Tricks in der Software gezeigt haben, die ich selbst programmiert habe!

3. Es muss nur noch programmiert werden, dann kann ich es verkaufen!

Vermutlich kommt diese Ansicht daher, dass die eigentliche Softwareentwicklung für den Anwender unsichtbar ist. Bei Schiffen oder Autos haben wir sofort riesige Fabrikanlagen vor Augen. Gleichzeitig weiß jeder, dass da mehr dranhängt: Bevor das erste Schiff gebaut werden kann, passiert einiges:

  • Die Fabrikanlage selbst muss erstmal gebaut werden. Für die Programmierung ist das nix Physisches zum Anfassen, aber zur professionellen Softwareentwicklung muss auch eine Art „virtuelle Fertigungsstrecke“ aufgebaut werden.
  • Es werden Baupläne für das Schiff gezeichnet. Eine der aufwändigsten Phasen in der Softwareentwicklung ist die Anforderungserhebung. Hier muss detailliert vorausgeplant werden, was die Software können muss und wie sie technisch gebaut wird.
  • Die betriebswirtschaftliche Seite wird geklärt. Wer finanziert den Bau, bis der Kunde zahlt? Lohnt sich das überhaupt? Wie wird der Gewinn aufgeteilt? Wo kommen die Kunden überhaupt her?

Das ist nur ein kleiner Einblick. Eine Software zu programmieren, die später richtig Gewinn abwerfen soll, ist weitaus komplexer! Zumal sie sich erfolgreich etablieren muss.

Reality Check: Der Wechsel von Software ist teuer

Branchensoftware, die schon ein paar Jahre auf dem Markt ist, hat sich bewährt: Sie hat zumindest genug Kunden, um die weitere Entwicklung bezahlen. So ganz verkehrt kann sie nicht sein.

Die eigene Software muss nicht nur besser als die bisherige Software sein, sie muss auch den Wechsel wert sein. Hier kommt aber das fehlende Vertrauen: Woher sollen die Kunden wissen, ob der neue Anbieter überhaupt mehrere Jahre durchhält?

Geschrieben von:
Sven Meyer

Sven Meyer

Studierter Wirtschaftsinformatiker, ausgebildeter Großhandelskaufmann, fünf Jahre Berufserfahrung als Sachbearbeiter im pharmazeutischen Großhandel. Während des Studiums war ich selbstständig und seit Februar 2019 bin ich fest als Technical SEO Manager angestellt.

Bildquelle(n):


    Blogkommentare werden im Moment nicht dargestellt.